Politische Partizipation von Frauen in Tunesien

Seit 2011 führt die EAF Berlin - Europäische Akademie für Frauen in Politik - das Projekt „Demokratie braucht Frauen” mit dem Ziel durch, politisch und zivilgesellschaftlich aktive Tunesierinnen in ihrem Engagement zu unterstützen und sie zur politischen Beteiligung zu motivieren und zu qualifizieren. Durch Austausch, Empowerment und Vernetzung werden Frauen nicht nur gestärkt, sondern auch Ansätze und Ideen zur Förderung der politischen Partizipation von Frauen, insbesondere auf kommunaler Ebene, werden verbreitet. Als Projektleiterin begleite ich Frauen aus El Kef, Sousse, Kairouan, Gafsa und Sfax. Es handelt sich zwar um unterschiedliche Regionen mit unterschiedlichen Strukturen und Voraussetzungen, jedoch haben sie eins gemeinsam: den Willen der Frauen, ihre Stimme zu erheben und ihre Kommunen bzw. ihr Land mitzugestalten, knapp fünf Jahre nach der Revolution. 

 

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Tunesierinnen seit 2011 an vorderster Front stehen. Sie gingen auf die Straße gegen den berühmten Paragraphen, der die Frau als „komplementär zum Mann“ definierte und errangen schließlich eine Verfassung, die als eine der fortschrittlichsten der arabischen Welt gilt. Und der heutige Präsident Beji Caid Essebsi wäre ohne die Stimmen der Frauen nicht gewählt worden. 81% der Frauen gegen 53% der Männer wählten ihn und machten den Unterschied, in der Hoffnung, dass die sekuläre Partei Nidaa Tunes ihre Errungenschaften am besten sichern könnte. Die Tunesierinnen sind heute anwesend und sichtbar im öffentlichen Raum – zumindest in den Städten – und sie haben sich in den letzten Jahren stark für Demokratie und Frauenrechte eingesetzt. Trotz einer erweiterten Partizipation, legislativer Errungenschaften und der Verankerung der Parité in der Verfassung, bleibt jedoch der Anteil von Frauen in politischen Spitzenämtern gering.

Frauen bilden ca. 30 % der Nationalversammlung und 11% der Regierung. Zahlreich sind die Hürden, die überwunden werden müssen. Soziokulturelle Widerstände, strukturell verankerte Partizipationshemmnisse, Aufstieg konservativer Strömungen, männlich-dominante Parteikulturen und nicht zuletzt Gewalt im öffentlichen Raum sind nur einige der vielen Faktoren, die Frauen in ihrer politischen Karriere einschränken und diejenigen verschrecken, die sich engagieren wollen. Insbesondere auf der kommunalen Ebene, wo zivilgesellschaftlich engagierte Frauen es sich schwertun, einer politischen Partei anzugehören. Schlechtes Omen für die am 31. Oktober 2016 geplante Kommunalwahl. Tunesien steht vor riesigen Reformen, darunter einer längst überfälligen Dezentralisierung. In diesem Transformations- und Demokratisierungsprozess stehen den Kommunen Schlüsselrollen in wirtschaftlichen und soziokulturellen Bereichen sowie in der politischen Entwicklung zu? Sie stehen unter dem hohen Erwartungsdruck der Bevölkerung – insbesondere der Frauen -, die mehr Gestaltungsräume zum Mitdenken und Mitgestalten fordern. Experten sind sich aber einig, dass das Datum für die geplante Kommunalwahl wegen fehlenden gesetzlichen Rahmens nicht einzuhalten ist. Es ist zu hoffen, dass die tunesische Regierung, zu der mit Frau Samira Merai eine hochkompetente liberale Frauenministerin zählt, die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und die lokale Demokratie belebt, statt sie im Keim zu ersticken.

 

Cécile Bonnet-Weidhofer, Schwerin, Spitzenkandidatin FDP Mecklenburg-Vorpommern zur Landtagswahl 2016, Expertin / Projektleitung ,,Demokratie braucht Frauen" / EAF Berlin. Diversity in Leadership